59. Westfälischer Archivtag

59. Westfälischer Archivtag

Organisatoren
LWL-Archivamt für Westfalen, Münster; Stadt Arnsberg
Ort
Arnsberg
Land
Deutschland
Vom - Bis
27.03.2007 - 28.03.2007
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Von
Peter Worm

Auf Einladung der Stadt Arnsberg fand am 27. und 28. März 2007 der 59. Westfälische Archivtag in der Festhalle der Arnsberger Bürgerschützengesellschaft e.V. statt. In zwei Arbeitssitzungen ging es zum einen um „Regionale Identität und Überlieferungsbildung“ zum anderen um den „Archivischen Umgang mit Nachlässen und Fotosammlungen“.

Nachdem der Leiter des LWL-Archivamts für Westfalen, Prof. Dr. Norbert Reimann, die versammelten rund 240 Archivarinnen und Archivare begrüßt hatte, sprach zunächst Maria Seifert als Vorsitzende der Landschaftsversammlung ihr Grußwort. Sie erklärte die neuen Bezeichnung der Einrichtungen des Landschaftsverbands mit der Außendarstellung und Positionierung des LWL als modernem kommunalen Dienstleister, betonte aber auch, dass das Archivamt trotz des neuen Namens ein verlässlicher Ansprechpartner für die Archive in Stadt und Land bleibe. Die Qualität einer flächendeckenden Beratung sah sie jedoch durch Auswirkungen der durch die Landesregierung geplanten Verwaltungsneugliederung gefährdet. Der Bürgermeister der Stadt Arnsberg, Hans-Josef Vogel, betonte im Anschluss die strategische Bedeutung der Archive für Städte und Gemeinden, da durch ihre Arbeit Gleichbleibendes von Veränderlichem geschieden und so Handlungsspielräume deutlich gemacht würden. Zudem spielten Archive bei der lokalen Identitätsstiftung eine wichtige Rolle als Gegenpol zur „kulturellen Globalisierung“, unterstützten die Integration von zugewanderten Neubürgerinnen und -bürgern und würden so zu „Archiven der Zukunft“. Der Kulturstaatssekretär des Landes NRW, Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff, verteidigte die angestrebte Aufspaltung des Landes in drei Teile, da sie der Entwicklung der letzten 200 Jahre Rechnung trage. Er stellte die Bemühungen der Landesregierung zum Bestandserhalt kultureller Überlieferung heraus und versprach, vielversprechende Projekte in der Historischen Bildungsarbeit noch in diesem Jahr mit 100.000,- € zu fördern. Ziel müsse es für die Archive sein, sich in den betreuten Schüler und Schülerinnen als zukünftigen Wählern/innen und Entscheidungsträgern/innen eine Lobby zu schaffen. Der stellvertretende Landrat des Hochsauerlandkreises dankte abschließend für die Arbeit der Archive bei der Herausarbeitung lokaler Identität und betonte diesen Standortvorteil für die touristische Attraktivität einer Region.

In seinem Eröffnungsvortrag zeichnete Prof. Reimann den Lebensweg des Freiherrn vom und zum Stein nach, dessen Geburtstag sich in diesem Jahr zum 250. Mal jährt. Er stellte den im Nassauischen geborenen Stein als Verfechter einer starken regionalen Selbstverwaltung heraus, der sich durch die Bauernbefreiung, die Verwaltungsmodernisierung des preußischen Staats und besonders durch die Städteordnung große Verdienste erworben hatte. Die von ihm propagierte Stärkung von „Gemeingeist“ und „Bürgersinn“ in der Region und die Selbstbeschränkung der Regierung auf Lenkungsaufgaben kann auch für die heutigen Reformansätze wichtige Anregungen geben.

In der ersten Arbeitssitzung wurde im Beitrag von Dr. Gießmann, dem Leiter des Stadtarchivs Rheine, deutlich, dass sich das Argument der „Bürgernähe“ bei der Kommunalisierung staatlicher Aufgaben in unserer Zeit immer wieder findet. Verstand man unter dem Begriff der Kommunalisierung in der Nachkriegszeit noch das wirtschaftliche Engagement der Kommunen im Bereich der Energie- und Abfallwirtschaft, wurde es im Zug der Wende immer stärker für die Verlagerung von staatlichen Aufgaben auf die kommunalen Verwaltungsebenen benutzt. In den neuen Bundesländern konnten bisher nur theoretisch erwogene Konzepte dazu versuchsweise umgesetzt werden. Zum Beispiel wurden die Landkreise in Sachsen mit vielfältigen Verwaltungsaufgaben betraut. Inzwischen werden die dortigen Erfahrungen auf die Altbundesländer übertragen, so betreibt man in NRW den Wegfall der Sonderbehörden, eine weitgehende Privatisierung von ehemals öffentlichen Aufgaben und die Bildung von drei Regionalverbänden. Gießmann stellte schließlich heraus, welche Auswirkungen Änderungen in der Verwaltungsstruktur für die Überlieferungsbildung mit sich bringen und betonte die sich daraus ergebende Notwendigkeit von archivspartenübergreifender Zusammenarbeit.
Wilhelm Grabe vom Kreisarchiv Paderborn stellte in seinem Vortrag zunächst die Schwierigkeiten der „Bindestrich-Bundesländer“ heraus, eine gemeinsame Identität zu entwickeln. Kommunalarchive kooperieren sehr viel stärker in den historischen Einheiten (Hochstift Paderborn, Vest Recklinghausen, Lipper Land) und könnten hier auch zur Bildung von Heimatverbundenheit und Identitätsbildung auf der Ebene von Teilregionen beitragen. Diese „Verankerung in der regionalen Geschichtslandschaft“ erfolge einerseits ‚passiv’ durch eine gezielte Überlieferungsbildung und Erschließungstätigkeit, die heimatgeschichtliche Forschung ermöglicht, und andererseits durch die ‚aktive’ Auswertung landesgeschichtlicher Quellen und die Präsentation der Ergebnisse in heimatgeschichtlichen Zeitschriften.

In der zweiten Arbeitssitzung beschäftigte man sich mit Nachlässen im Archiv. Am Beispiel des Stein-Nachlasses im von Kanitzschen Archiv auf Schloss Cappenberg berichtete Dr. Annekatrin Schaller (Stadtarchiv Neuss) von den Herausforderungen der Verzeichnung im Rahmen eines DFG-Projekts (1999-2001), die u.a. darin bestanden, die Ergebnisse der beiden Stein-Editionen zu integrieren und eine geeignete Erschließungstiefe für die Nachlassbestandteile zu finden.
Dr. Gunnar Teske vom LWL-Archivamt stellte danach die zwei zentralen Nachlass-Nachweise beim Bundesarchiv („Mommsen“) und bei der StaBi Berlin („Kalliope“) vor. Während es bei ersterem um den bestandsbezogenen Nachweis geht, ist der bibliothekarische Ansatz aus der Autografen-Erschließung entstanden und erst nachträglich für die archivische Verzeichnung geöffnet worden. Das Mommsen-Portal ist von daher für die Eingabe der archivisch erschlossenen Nachlässe nach wie vor besser geeignet. Allerdings ist an die Zusammenführung beider Datenquellen über eine gemeinsame Recherchefunktion im Internet gedacht.

Bei der Fortsetzung der zweiten Arbeitssitzung am folgenden Tag setzte sich Dr. Jochen Rath vom Stadtarchiv Bielefeld zunächst mit dem Spannungsfeld von umfassendem Dokumentationsauftrag der Stadtarchive, wie er in einem entsprechenden Positionspapier der BKK formuliert wird, und der von den Stadtverwaltungen oft geforderten Beschränkung auf die Archivierung des reinen Verwaltungsschriftguts auseinander. Er hob dabei die Rolle der Nachlässe als Ersatz- oder Ergänzungsüberlieferung hervor und betonte den Wert der Vereinsüberlieferung für die Dokumentation des gesellschaftlichen Lebens einer Kommune. Gleichzeitig forderte er eine strenge Bewertung von Vereins- und Privatnachlässen, da die im Archiv zur Verfügung stehende Arbeitskraft für die Erschließung solcher Überlieferung begrenzt sei und der Nachlass in die Überlieferung des Archivsprengels passen müsse.

Der Stadtarchivar des Veranstaltungsortes Arnsberg, Michael Gosmann, präsentierte im folgenden Beitrag exemplarisch die Schwierigkeiten, die die Übernahme und Erschließung eines großen Fotografennachlasses mit sich bringt. Der Kreisheimatpfleger Friedhelm Ackermann war im Jahr 2005 überraschend verstorben und an das Archiv wurden 50.000 Dias im Kleinbild- und Mittelformat übergeben, die rasch recherchier- und nutzbar gemacht werden sollten. Um das zu gewährleisten, wurde ein ehrgeiziges Digitalisierungsprojekt angestoßen, das nach dem ersten Jahr bereits 14.000 eingescannte Kleinbilddias vorweisen kann. In der anschließenden Diskussion wurde die Frage nach der Bewertung von Fotonachlässen aufgeworfen. Es scheint, dass Archive hier ggf. auf die Mithilfe von Fotografen oder vergleichbaren Fachleuten angewiesen sind.
Anja Gussek-Revermann stellte danach die Vorteile einer bestandsübergreifenden datenbankgestützten Fotoerschließung heraus. Während im Stadtarchiv vor dem Umzug in die Coerder Speicherstadt Fotos und Postkarten durch die Aufstellung im Lesesaal einer starken physikalischen Beanspruchung ausgesetzt waren, bietet die computergestützte Recherche schnellere und bessere Ergebnisse bei gleichzeitiger Schonung des Originalmaterials. Diese „Visualisierung von Geschichte“ entspricht in hohem Maß den Benutzerwünschen und spiegelt sich in der großen Nachfrage und der gestiegenen Zahl der Reproaufträge wider.

Dr. Peter Worm vom LWL-Archivamt referierte über digitale Bilder im Archiv und die technischen und archivfachlichen Ansprüche, die dieses Material im Vergleich zu konventionellem Fotomaterial an die Archive stellt. Neben der Erstellung und Speicherung ging es auch um die strukturierte Datenablage und die Nutzung von Metadaten zur langfristigen Sicherung des Bildmaterials.

Der neue Leiter des Kreiszentralarchivs Warendorf, Dr. Mark Alexander Steinert, informierte im Anschluss über die rechtlichen Rahmenbedingungen, die Urhebergesetz und Kunsturhebergesetz der Nutzung von Fotografien im archivischen Umfeld setzen. Während ersteres v.a. der Sicherung der Rechte des Bilderstellers dient, schützt das zweite Gesetz die Persönlichkeitsrechte des Abgebildeten. Schließlich klärte er über die Folgen des Bruchs von urheberrechtlichen Bestimmungen auf. Die anschließende lebhafte Diskussion belegte den großen Informationsbedarf, der hier auf Seiten der Archivarinnen und Archivare besteht.
Nach der Mittagspause erläuterte Birgit Geller, Restauratorin am LWL-Archivamt, die wichtigsten Grundlagen für die Konservierung von analogem Bildmaterial. Sie plädierte für einen schonenden Umgang bei der Erschließung (Nutzung von Handschuhen und sauberen Arbeitsflächen) und der Lagerung (geeignetes Verpackungsmaterial) von Fotografien. Anschaulich zeigte sie die Auswirkungen von Nachlässigkeit und Unachtsamkeit im Umgang mit dem empfindlichen Material auf.

In der Aktuellen Stunde berichtete Dr. Worm vom offiziellen Start des neugestalteten Archivportals Archive.NRW.de am 2. Mai 2007. Anschließend stellte Dr. Marcus Weidner das gemeinsam vom LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte und dem LWL-Archivamt initiierte Projekt „Digitale Westfälische Urkundendatei – DWUD“ vor. In ihm soll zunächst der Inhalt zweier bestandsübergreifend chronologisch sortierter Zettelkarteien (des Staatsarchivs Münster und des Archivamts) digital zugänglich gemacht werden. Ergänzend sollen in elektronischer Form vorliegende Urkundenverzeichnungen eingespeist werden – eine breite Mitarbeit der westfälischen Kommunal- und Privatarchive mit Urkundenbeständen wird dabei angestrebt. Abschließend stellte Herr Dr. Springer vom LWL-Medienzentrum für Westfalen den "Arbeitskreis Filmarchivierung in Nordrhein-Westfalen" vor, dessen Ziel u.a. die Erhaltung von Filmüberlieferung aus kommunalen und privaten Sammlungen ist. Kommunalarchiven bot er an, ihre Filmüberlieferung – egal aus welchem Ursprungsformat – in Klimakammern unter optimalen Bedingungen einzulagern und den Deponenten im Gegenzug vorführbare Nutzungskopien ihrer Filme zu übergeben.

Professor Reimann dankte abschließend allen Referenten, Diskutanten und den Teilnehmerinnen und Teilnehmern für ihre Beiträge und der Stadt Arnsberg als Gastgeberin für den bisher bestbesuchten Westfälischen Archivtag.

Herr Götz Betge vom Stadtarchiv Iserlohn lud im Namen seines Bürgermeisters für das kommende Jahr (11.-12. März 2008) in seine Stadt zum 60. Westfälischen Archivtag ein.

Kontakt

LWL-Archivamt für Westfalen
Jahnstr. 26
48147 Münster
Tel.: 0251 591-3890
Fax: 0251 591-269
E-Mail: LWL-Archivamt@lwl.org


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